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Einlassung im Prozess am 25.8.2025

Der Angeklagte hat für den Prozess einiges zu sagen. Der folgende Text wurde im Gerichtssaal vorgelesen:

Im Fall um die veränderten Werbeposter am Alexanderplatz und am Ostbahnhof vom Juli 2024 führt die Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht Berlin Tiergarten gegen mich ein Verfahren.

Dazu möchte ich folgendes sagen:

Bei der akribischen Arbeit der Polizei und dem unübersehbarem Eifer der Staatsanwaltschaft entsteht der Eindruck, dass vor allem unliebsame Äußerungen gegen die Polizei verfolgt werden.

Was ist passiert?

An den besagten Bahnhöfen waren Werbeplakate der Polizei durch einen angeklebten Papieraufkleber in Gedankenblasenform verändert worden. Auf einem Werbeplakat war eine Polizeibeamtin mit einer Gedankenblase zu sehen, in der es um Rassismus innerhalb der Polizei geht: Die entsprechende Beamtin sitzt mit Head-Set im Büro. Sie kann über die Praxis ihrer Kollegen nicht mehr hinwegsehen. Daher kommt sie zu dem Schluss: „Ich bin diesen Rassist:innen-Laden leid!“. Auf dem zweiten Werbebanner wurde der abgebildeten Person folgender Gedanke in den Mund gelegt: „Eigentlich bin ich nur bezahlte Gewalttäter:in“. Nachvollziehbare Selbstkritik an der Polizeiarbeit zu einer Zeit in der sich junge Menschen gewaltfrei gegen Umweltzerstörung auf die Straßen setzten und mit brutaler Gewalt weggezerrt wurden. Diese aufgeklebten Gedankenblasen führten dazu, dass sich Sicherheitskräfte dazu genötigt fühlten, mutig zur Tat zu schreiten: Sie versuchten die Werbung von der anhaftenden Gefahr für die Allgemeinheit zu befreien. Dies geschah durch das ganzflächige Entfernen der Poster von der Werbetafel. Denn mithilfe der Gedankenblasen waren den abgebildeten Polizist:innen Selbstkritik in den Mund gelegt worden.

Werbung ist Kommunikationsmittel. Mit Werbung kommunizieren die Werbenden mit der Öffentlichkeit und versuchen ihre Aussagen an die Empfänger:innen zu bringen. Aber: Kommunikation ist nicht einseitig. Ist die Aussage kontrovers, ist mit einer Antwort aus der Öffentlichkeit zu rechnen. Der öffentliche Raum sollte der Gesellschaft als Ganzes zur Verfügung stehen. Jedoch ist die Deutungshoheit der Inhalte stets denen überlassen, die dafür reichlich Geld bezahlen. Bei Werbung für Konsumgüter ist dies schon schwer zu ertragen. Jedoch versucht der Staat das Image von potenziell tödlichen Behörden aufzupolieren und dies unter der Hochglanzoberfläche der Werbung zu verstecken. Deshalb sollte die Öffentlichkeit die Möglichkeit haben, den Raum ebenfalls zu nutzen. Dies kann in Form eines Kommentars auf der Werbung geschehen. Daher sind die Papier-Sprechblasen weniger mutwillige Zerstörung als ein notwendiges Einordnen und ein Zurechtrücken der Realität.

Auf den Sprechblasen ist keine plumpe, verallgemeinernde oder undifferenzierte Beleidigung zu lesen, sondern berechtigte Kritik an den rassistischen Strukturen in der Polizei.

Was genau wird kritisiert:

Es wird der abgebildeten Polizist:in das Lamentieren über die existierenden rassistischen Vorgänge oder Strukturen in den Mund gelegt. Dies ist eine rein sachliche und vor allem berechtigte Kritik. Wie wichtig eine auf Rassismus sensibilisierte Polizei wäre, zeigt sich in folgenden, tragischen Fällen:

9 Menschen verlieren durch den NSU ihr Leben und die Polizei vermutet sogenannte „Dönermorde“ oder Kriminalität zwischen Migrant:innen. Während die Ermittler:innen migrantische Menschen ins Visier nehmen, können die rechtsextremen Täter:innen weiter morden. Ein anderer Fall ist der des getöteten Jugendlichen Lorenz in Oldenburg. Rassismus kostet Leben, vor allem wenn dieser in Köpfen von bewaffneten Sicherheitskräften sitzt. Laut der Polizeistudie „MEGAVO“ nehmen Muslimfeindlichkeit und Ablehnung gegenüber Asylsuchenden innerhalb der Polizei zu. Ein Drittel der befragten Beamt:innen gibt an, binnen des letzten Jahres Zeugin rassistischer Äußerungen von Kolleg:innen geworden zu sein. Im Falle von sexistischen Aussagen sind es sogar 40 Prozent. Im Arbeitsalltag werden rassistische Motive nicht hinterfragt. Wenn dieses als Cops-Culture bezeichnete Phänomen kritisiert wird, trifft dies auf taube Ohren. Die Vorfälle werden dann als individuelles Fehlverhalten einer Einzelperson zugeschrieben. Ein Melden von Vorfällen kommt zu selten vor, nicht zuletzt wegen der vermeintlichen Korpsgemeinschaft innerhalb der Truppe.

Auch die zweite Werbetafel mit der Gedankenblase und dem Inhalt: „Eigentlich bin ich nur staatlich bezahlte Gewalttäter:in“ ist sachlich. Sie kritisiert den gewaltvollen Einsatz von Polizist:innen gegenüber Menschen wie Obdachlosen, Demonstrant:innen oder den Klimaaktivist:innen. Auf Demonstrationen von Palästinenser:innen und ihren Unterstützer:innen gegen den Krieg in Gaza wird von übermäßiger und sinnloser Gewalt Gebrauch gemacht. Obdachlose und Menschen in prekären Millieus werden von Plätzen vertrieben oder es wird die selbstgebaute Unterkunft zerstört. Im Fall Maja T. wird die Polizei eigenmächtig tätig und verschleppt die Aktivist:in, entgegen eines Gerichtsbeschlusses, bei Nacht nach Ungarn. Auch vor den eigenen Leuten macht die Gewalt nicht halt. Die Aufnahmerituale einiger sächsischer Polizeigruppen wirken geradezu archaisch.

Selbstzerstörung statt Kritikfähigkeit

Wie bereits erwähnt, war die Zerstörung der Plakate durch die Polizei/Bahnhofswache die Folge auf die aufgeklebten Sprechblasen. Warum also die eigene Werbung zerstören, wenn lediglich eine nichtvorhandene Kritikfähigkeit angedichtet wurde? Ist es so unvertretbar im öffentlichen Raum die Polizei durch Werbung besser, weil kritisch mit sich selbst, darzustellen, als es der Realität entspricht? Ist der materielle Wert der Werbeplakate weniger hoch, als es der Ansehensverlust durch einen öffentlichen Kommentar wäre? Warum sollte eine selbstkritische Betrachtung der Dinge etwas Negatives sein?

Vertrauen in die Polizei entsteht nur durch Kritikoffenheit, Machtkontrolle und Respekt gegenüber allen Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Aussehen.

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