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Gewonnen! -Prozess wegen Polizei-Adbustings endet mit Einstellung

Sie sind einfach nicht zu fassen: Die Adbuster:innen, die immer wieder die Werbeplakate der Polizei mit Kritik versehen. Ein 29-jähriger Student war heute am Amtsgericht Tiergarten wegen Sachbeschädigung angeklagt. Cops wollten ihn auf Videos erkannt haben, wie er Plakate der Polizei mit Kritik an Gewalt und Rassismus ergänzte. Mit einer Kundgebung unter dem Motto: „110% Rassismus. 0% Kritikfähigkeit“ protestierte eine Soligruppe gegen die Kriminalisierung des Betroffenen. Das Gericht stellte das Verfahren nach ca. 90 Minuten Verhandlung nach StPO §153a gegen eine Spende von 900,00 Euro ein. Begründung: Geringer Sachschaden und der Verfolgungseifer der Cops ist irgendwie peinlich. Der Angeklagte freute sich: „Für die Zivilgesellschaft ist dies ein guter Tag; es ist nichts Falsches daran, die Polizei wegen Gewalt und Rassismus zu kritisieren!“

Umstrittene Werbung
Kaum eine staatliche Institution ist in der Gesellschaft so umstritten wie die Polizei: Für die Reichen, Schönen und Gebildeten gilt sie als Freund und Helfer:in, andere sehen in ihnen rassistische staatlich bezahlte Gewalttäter:innen. Das zeigt sich auch bei Werbeplakaten der Berliner Polizei: Deren Imagewerbung wird von Bürger:innen immer wieder mit Farbe, Papier und Kleister korrigiert. Der konkrete Sachschaden dieser Aktionen ist kaum messbar; die Wirkung hingegen enorm. Seit 2020 verzichtet die Berliner Polizei auf Werbung mit Citylight-Postern im öffentlichen Nahverkehr; es gibt einfach zu viele Haltestellen um sie alle 24/7 zu bewachen.

Großer Ermittlungseifer
Der Ermittlungseifer der Polizei ist deshalb umso größer: Hausdurchsuchungen, DNA-Analysen, Meldungen an das Terrorabwehrzentrum wegen bemalten oder beklebten Werbepostern hielten die Berliner Behörden für völlig angemessen. Deshalb erklärte das Bundesverfassungsgericht bereits 2023 mit einem Urteil  Hausdurchsuchungen der Berliner Polizei wegen Adbusting für illegal. Die Staatsanswaltschaft stellte in der Vergangenheit fast alle Verfahren ein. Doch das hält den latent rechtsdrehenden Staatsschutz der Berliner Polizei na klar nicht auf.


Den Cops Selbstkritik in den Mund gelegt
Dies musste jetzt ein 29-jähriger Student in einem Gerichtsprozess erleben. Der junge Mann stand heute vor Gericht, weil ihm vorgeworfen wurde, vor einem Jahr Werbeplakate der Polizei in den Bahnhöfen am Alexanderplatz und am Ostbahnhof mit Papier beklebt und mit Farbe bemalt zu haben. Die Plakate der Polizei zeigten damals die Abbildung einer Polizist:in mit Headset. Dieses Bild soll der Angeklagte mit einer Sprechblase ergänzt haben. Diese Sprechblase legte im ersten Bahnhof der abgebildeten Polizisten „… ich bin diesen Rassist*innenladen leid!“ in den Mund. Im zweiten Bahnhof lautete die Ergänzung in der Sprechblase: „…eigentlich sind wir bloß staatlich bezahlte Gewalttäter*innen!“ Geschnappt wurde bei der Aktion laut Polizeiakte niemand. Der Tagesspiegel und die Berliner Morgenpost berichteten recht nett über die Aktion.

Umfangreiche Ermittlungen für eine Bagatelle
Daraufhin scheute der Staatsschutz der Berliner Polizei weder Kosten noch Mühen und wertete umfangreich Videomaterial aus dem Nahverkehr aus. Auf den Bildern glaubte eine Polizist:in den Angeklagten zu erkennen. So kam es zum Strafbefehl wegen Sachbeschädigung über 50 Tage à 30 Euro, also insgesamt 1.500€. Der Betroffene nahm sich eine Anwält:in und diese legte Widerspruch ein. So kam es zum Prozess. Für den verteidigenden Rechtsanwalt Jonas Ganz ist klar, dass hier ein politischer Prozess stattfindet: „Jemand ohne Vorbestrafung wird bei einem Sachschaden von 3-5€ angeklagt während vergleichbare Bagatell-Fälle glücklicherweise bereits im Ermittlunsgverfahren enden.“

Kundgebung vor dem Gericht
Um den Betroffenen formte sich eine Soligruppe. Diese meldete zum Gerichtstermin eine Kundgebung unter dem Motto: „110% Rassismus. 0% Kritikfähigkeit“ direkt vor dem Gericht neben dem Haupteingang auf dem Fußweg an. Die Cops kamen mit sieben Wannen, um sich und das Gericht vor der Kritik der über 20 solidarischen Unterstützer:innen zu schützen: „…vielleicht sind das die die immer die Polizei-Adbustings machen?“ raunten sie sich zu. Auf der Kundgebung zeigte die Gruppe eine Ausstellung mit Bildern von Adbustings von Polizei-Plakaten. Darunter befanden sich auch die angeklagten Adbustings. Die Ausstellung erregte überraschend viel Interesse bei Passant:innen.

Die Kundgebung machte so viel Eindruck auf die staatlich bezahlten Gewalttäter:innen am Gericht, dass diese die Verhandlung spontan in den Hochsicherheitssaal verlegten. „Is ja klar: Beklebte Poster sind für die Berliner Behörden so schlimm wie Terrorismus, wenn sie die Polizei kritisieren!“ scherzte der Angeklagte vor der Verhandlung.

Diese Sachen durften leider nicht mit in den Gerichtssaal

Einlassung des Angeklagten
Zum Beginn der Verhandlung gab der Angeklagte vor dem vollen Saal eine Prozesserklärung ab. Er äußerte sich nicht zu den Vorwürfen. Stattdessen bezog er sich auf die mit den angeklagten Adbustings geäußerte Kritik. „Die Gedankenblasen legen den abgelichteten Polizist:innen Selbstkritik zu Polizeigewalt in den Mund. Sie kritisieren den gewaltvollen Einsatz von Polizist:innen  gegenüber Menschen wie Obdachlosen, Demonstrant:innen oder den Klimaaktivist:innen.“ Seine Bewertung: „Ist es so unvertretbar, im öffentlichen Raum die Polizei durch Werbung besser, weil kritisch mit sich selbst, darzustellen als es der Realität entspricht?“

Zutreffend sei auch die Kritik an Rassismus in der Polizei: „Wie wichtig eine auf die Rassismusproblematik sensibilisierte Polizei wäre, zeigt sich in tragischen Fällen: 9  Menschen verlieren durch den NSU ihr Leben und die Polizei vermutet sogenannte „Dönermorde“ oder Kriminalität zwischen Migrant:innen.“ Während die Ermittler:innen migrantische Menschen ins Visier nehmen, können die rechtsextremen Täter:innen weiter morden. Ein anderer Fall sei der des getöteten Jugendlichen Lorenz in Oldenburg. „Rassismus kostet Leben, vor allem  wenn dieser in Köpfen von bewaffneten Sicherheitskräften sitzt.“ 

Dazu zitierte der Angeklagte aus der Polizeistudie „MEGAVO“. Darin stünde, dass Muslimfeindlichkeit und Ablehnung gegenüber Asylsuchenden innerhalb der Polizei zunehme. Ein Drittel der befragten Beamt:innen gäbe an, binnen des letzten Jahres Zeug:in rassistischer Äußerungen von Kolleg:innen geworden zu sein. Im Falle von sexistischen Aussagen seien es sogar 40 Prozent. Das Fazit des Angeklagten: „Vertrauen in die Polizei entsteht nur durch Kritikoffenheit, Machtkontrolle und Respekt gegenüber allen Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Aussehen.“


Personalien-Aufnahme wegen Wortmeldung
Den spontanen Applaus des Publikums nach der Prozesserklärung unterband die Richter:in mit Ermahnungen: „Diese Veranstaltung ist kein Theater!“ Als nochmal später jemand aus dem Publikum sich einmischte, drohte die Richter:in mit Bussgeldern. Eine Person bestand daraufhin, erst rausgeworfen zu werden. Die Richter:in befahl eine Pause und ließ die Personalien einer Person aufnehmen.

Beweisaufnahme
In der Beweisaufnahme wollte das Gericht drei Zeug:innen vernehmen. Dabei handelte es sich um zwei Cops, die die Plakate entdeckten und Maßnahmen trafen und eine Mitarbeiter:in von der Werbefirma Ströer. Diese erschien nicht wegen Krankheit.
Die Cops betonten in der Venehmung vor allem, wie schlimm polizeikritisch sie die Adbustings fanden. Und wie schlimm sie die polizeikritischen Texte auf dem Blog, auf den die QR-Codes auf den Adbustings verwiesen, fanden. Ihr Hauptinteresse bestand dann auch darin, die Botschaft wegzureißen und den QR-Code zu entfernen. Auffällig: Alle beiden Cops konnten oder wollten nicht darlegen, was genau eigentlich beschädigt wird, wenn man eine Wand, die mit Papier beklebt ist, mit noch mehr Papier beklebt. 

Einstellung des Verfahrens
Nach einer Pause nach der Zeugenvernehmung kündigte die Verteidiger:in an, Anträge stellen zu wollen. Die Vernehmung zeige, dass das Verfahren sehr klar politisch motiviert sei. Das zeige der Eifer der Cops, die Kritik an ihrem Berufsstand unsichtbar zu machen. Gleichzeitig sei der Sachschaden äußerst gering, er rechtfertige auf keinen Fall den enormen Ermittlungsaufwand. Deshalb schlage er vor, dass das Gericht das Verfahren gegen eine Auflage nach StPO 153a einstellen würde. Staatsanwaltschaft und Gericht einigten sich auf eine Geldauflage von 900 Euro. Der Angeklagte freute sich über die Einstellung: „Endlich wird auch mal im Gericht festgestellt, dass Kritik an einer gewalttätigen und rassistischen Polizei gesellschaftlich wichtiger ist als der bescheidene materielle Wert eines Werbeplakates!“ 

6.11.: Nächster Prozess wegen Adbusting
Der nächste Gerichtstermin wegen Adbusting mit Polizei-Plakaten findet bereits am Do. 6.11. um 11.45 wieder am Amtsgericht Tiergarten statt. Zur Innenminister:innenkonferenz im Februar 2024 kaperte die Kommunikationsguerilla Gegen deutschnationale Polizeigewalt (GdP) über 100 Werbevitrinen der S- und U-Bahn-Stationen Berlins mit ihren Plakaten. Was auf den ersten Blick wie eine Image-Kampagne der Polizei aussah, entpuppte sich auf den zweiten als Satire: Mit ihren Adbustings thematisierte die Gruppe Polizeigewalt, Rassismus und Abschiebungen. Bebildert mit einem Aktenschredder zeigte eines der Plakatmotive etwa den Slogan: “Unsere Aufarbeitung von Rassismus. 110% nicht.” Mehr Infos zu dem Verfahren gibts hier:
    
https://de.indymedia.org/node/526503


Der Tagesspiegel zur Aktion:
https://www.tagesspiegel.de/berlin/adbusting-aktion-an-berliner-bahnhofen-aktivisten-kritisieren-polizeigewalt-mit-uberklebten-plakaten-11942690.html


Die Berliner Morgenpost berichtete:
https://www.morgenpost.de/berlin/article406709824/aktivisten-legen-berliner-polizei-selbstkritik-in-den-mund.html

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