
Das Amtsgericht Tiergarten hat erneut ein Strafverfahren wegen Adbusting mit gefälschten Polizei-Plakaten eingestellt. Ein Strafbefehl war bereits ausgestellt, ein Gerichtstermin für den 6.11. angesetzt. Jetzt ist Verfahren ist eingestellt, es lief über zwei Jahre. Zur Innenminister:innenkonferenz in Berlin im Februar 2023 hatte die Kommunikationsguerilla „Gegen deutschnationale Polizeigewalt (GdP)“ rekordverdächtige über 100 Werbevitrinen der S- und U-Bahn-Stationen gekapert. In diesen platzierten sie eigene Plakate im Design einer Image-Kampagne der Polizei. Die Adbustings thematisierten Polizeigewalt, Rassismus und Abschiebungen. Trotz bereits ergangenen Strafbefehl über 60 Tagessätzen a 30€ (insgesamt 1.800€) will das Gericht den Prozess jetzt doch nicht machen. „Da haben wir bei dem letzten Gerichtsprozess im August wohl zu viel Aufmerksamkeit für polizeiliche Willkür produziert!“ freut sich Kai N. Krieger von der Werkstatt für Antifaschistische Aktionen (w2a) die die Soli-Arbeit koordinierte.
Adbustings zur Abschiebe-Konferenz
Im Juni 2023 fand die Innenminister*innenkonferenz in Berlin statt. Das ist ein guter Anlass, um der Öffentlichkeit zu zeigen, dass das ein Treffen von Abschiebeminister*innen ist. Die Kommunikationsguerilla-Gruppe „Gegen deutschnationale Polizeigewalt (GdP) organisierte deshalb die bis dahin größte Adbusting-Aktion seit Jahren in Berlin. Fast rekordverdächtige 120 Werbevitrinen in U- und S-Bahn-Station kaperte die Gruppe damals.

Selbst entworfene Poster
Die Poster entwarf die Gruppe selbst. Die Plakate waren stilistisch an die offizielle „110% Berlin“-Kampagne der Polizei orientiert. Bebildert mit einem Aktenschredder zeigte eines der Plakatmotive den Slogan: “Unsere Aufarbeitung von Rassismus. 110% nicht.” Das Bild eines Sondereinsatzkommandos (SEK) beim Türen sprengen kombinierten die Aktivist*innen mit der Aussage: „Abschieben ins Kriegsgebiet? Gerne! 110% Gewalt“. Ein PR-Werbebild einer jungen Polizistin am Schreibtisch mit Aktenordner ist kombiniert mit dem Spruch “Rassismus? Schieben wir ab! 110% Tschüss”.
Medienfeedback
Die Taz berichtete über die Aktion folgendermaßen:
https://taz.de/Adbusting-Aktion-gegen-die-Polizei/!5935209

Sofortfandung: 2 Festnahmen
Die Polizei reagierte auf die Aktion mit einer Sofortfahndung. Dabei nahmen die Cops leider zwei Personen fest. Diese wurden bis in die frühen Morgenstunden in der Wache im Hauptbahnhof durchsucht, vernommen und eingesperrt. Laut Akte erklärte der Staatsschutz den ermittelnden Bundespolizist*innen bereits am Aktionstag per Telefon, dass Adbustings mit selbst mitgebrachten Postern nicht strafbar seien. “Denn wenn man nix klaut oder kaputt macht, ist das halt auch weder Diebstahl noch Sachbeschädigung”, erklärt

Darfschein
Sam A. Hax, Sprecher*in der Gruppe “Gegen deutschnationale Polizeigewalt (GdP)” damals in der Öffentlichkeitsarbeit der Gruppe. So hatte die Berliner Staatsanwaltschaft bereits 2020 einen Einstellungsbescheid begründet, den die Adbusting-Szene prompt als “Darfschein” veröffentlichte und der bis heute gilt.
https://de.indymedia.org/node/120108

Dem vorausgegangen waren willkürliche und unverhältnismäßige Polizei-Maßnahmen. Das Berliner LKA versuchte in den Jahren 2015-2019 mit Hausdurchsuchungen und Meldungen ans Terrorabwehrzentrum mit enormen Aufwand erfolglos, Adbusting zu kriminalisieren. Nach entschlossener Soli-Arbeit, einem gescheiterten Gerichtsprozess 2019 (https://taz.de/Gerichtsverfahren-in-Berlin/!5628524) sowie dutzenden parlamentarischen Anfragen und massiver Medienberichterstattung in 2020 und 2021 stellte die Berliner Staatsanwaltschaft sämtliche Strafverfahren zu satirisch veränderten Werbeplakaten sang- und klanglos ein.
Bundesweite Ausstrahlung
Auch Staatsanwält*innen aus anderen Städten folgten bisher dem Berliner Beispiel, satirischen Plakat-Aktivismus nicht strafrechtlich zu verfolgen. So zum Beispiel 2021 in Erlangen, 2021 in Stuttgart oder 2024 in Göttingen. Das Bundesverfassungsgericht erklärte im Dezember 2023 sogar drei Hausdurchsuchungen wegen eines antimilitaristischen Adbustings für illegal. Auch in einem jüngst am 25. August 2025 am Amtsgericht Tiergarten verhandelten Fall konnte sich das Gericht nicht zu einem Urteil durchringen und stellte das Verfahren ein:
https://taz.de/Verfahren-wegen-Adbusting-eingestellt/!6109522
Teileinstellung des Verfahrens
Doch nach der Adbusting-Aktion zur Innenministerinnenkonferenz 2023 ließ sich die Bundespolizei von dieser Rechtslage nicht beeindrucken. Die erste Kriminalisierungs-Idee kam ihnen laut Akte beim Durchsuchen des Verdächtigen. Die Person hatte eine Tageskarte der BVG dabei. Diese war nicht entwertet. Sofort leiteten die Cops ein Strafverfahren wegen „Erschleichung von Leistungen“. Dies stellte die Staatsanwaltschaft ruckzuck ein: „Es gibt in der Bundesrepublik kein Gesetz, das vorschreibt, dass man in Polizeiwachen einen gültigen Fahrschein bräuchte“ erklärt Kai N. Krieger, Sprecher*in der Werkstatt für Antifaschistische Aktionen.
Videoauswertung
Doch die Cops ermittelten munter weiter. Sie taten einfach so, als hätten sie von der rechtslage keine Ahnung und unterstellten Diebstahl und Sachbeschädigung. Sie nötigten die Firma, auch kleinste vermutlich alte Schäden an Werbevitrinen zu melden. Außerdem wertete die Bundespolizei mit mindestens zwei Beamt*innen neun Monate lang Aufzeichnungen von Videokameras an den von der Aktion betroffenen Bahnhöfen aus. „Ich würde mich freuen, wenn die mein nächstes geklautes Fahrrad auch so engagiert suchen…“ sagt Kai N. Krieger. „Vielleicht sollte ich Sprüche zu Polizeigewalt und Rassismus drauf schreiben, damit es die Cops interessiert?“
Keine Sachbeschädigung, kein Diebstahl
Schließlich übergab die Bundespolizei die Ermittlungen an das Staatsschutz-LKA 521. Auch dieses hielt plötzlich wieder besserem Wissen an den Vorwürfen der Sachbeschädigung und des Diebstahls fest und übergab die Ermittlungsresultate an die Staatsanwaltschaft. Von dort bekam bekam das LKA jedoch einen Dämpfer. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren bezogen auf diese Tatvorwürfe ein: “Hinsichtlich der Taten vom 13.06.2023 (sic!) lässt sich der Tatnachweis der Sachbeschädigung nicht mit der für die Anklageerhebung erforderlichen Sicherheit führen. […] Das Verfahren wird daher hinsichtlich des Tatvorwurfs der Sachbeschädigung und des Diebstahls gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt”
Neuer Paragraph zur Kriminalisierung von Adbustings
Ein neuer Vorwurf musste her. Die Beamt*innen bemerkten, dass auf einem der Plakatmotive ein Pressefoto der Polizei Sachsen abgebildet war. Darauf zu sehen ist eine Polizist*in, die von ihrem Schreibtisch aus in die Kamera lächelt. Die Gruppe “Gegen deutschnationale Polizeigewalt (GdP)” versah das Plakat mit dem Spruch: “Rassismus? Schieben wir ab!” Das verletze das Recht am eigenen Bild der Polizist*in laut § 22 Kunsturheberrechtsgesetz, fand das LKA 521.

Politikum
Eine parlamentarische Anfrage im Abgeordnetenhaus von Niklas Schrader zeigte derweil, das der Fall zum Politikum geworden war. Die Staatsanwaltschaft lehnte eine Zuständigkeit zunächst ab. Es ging Richtung Einstellung zur Amtsanwaltschaft. Doch von da ging es wieder zurück zur Staatsanwaltschaft, die sich jetzt doch zuständig fühlte und eine Strafbefehl beantragte.
https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/19/SchrAnfr/S19-18577.pdf
Strafbefehl wegen Kunsturheberrechtsgesetz
Im Briefkasten einer der verhafteten Personen flatterte im Frühjahr 2025 ein Strafbefehl ein. Der Vorwurf: Verstoß gegen § 22 Kunsturheberrechtsgesetz. Das Amtsgericht Tiergarten setzte dafür eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen a 30€ fest: Also insgesamt 1.800€. Der*die Angeklagte legte Einspruch gegen den Strafbefehl ein; das Amtsgericht setzte zunächst einen Gerichtstermin für den 6. November fest.

Pressefoto ist kein Privatfoto
Dabei nennt § 23 Kunsturheberrechtsgesetz explizit Ausnahmen, wann das Bild einer Person ohne deren Zustimmung benutzt werden darf. Eine der Ausnahmen sind sogenannte “Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte”. Genau ein solches Bildnis liegt hier nach Ansicht von Kai N. Krieger vor: “Die Polizist*in hat sich wissentlich für ein Pressefoto ablichten lassen, mit dem die Polizei bis heute Werbung für Nachwuchs macht.” Somit sei sie nicht als Privatperson abgebildet, sondern Teil der öffentlichen Selbstdarstellung der Polizei: “Und genau mit dieser öffentlichen Selbstdarstellung beschäftigen sich die Adbustings satirisch. Natürlich darf man dafür dieses Bild benutzen! Dass das Amtsgericht diesen Paragraphen zur Kriminalisierung polizeikritischer Satire benutzt, ist ein Skandal!”

Doch zum Gerichts-Prozess kommt es nicht. Denn die Berliner Adbusting-Szene ließ sich von dem Strafverfahren nicht einschüchtern und machte einfach weiter. So erwischte es zur Fußball-EM 2024 mehrere Megalights in großen Bahnhöfen,mit denen die Polizei Imagewerbung betrieb. Adbuster*innen klebten Sprechblasen auf die Poster. So legten sie der abgebildeten Polizistin Selbstkritik wie „… Ich bin diesen Rassist*innenladen so Leid!“ und „…eigentlich sind wir nur ein Haufen staatlich bezahlter Gewalttäter*innen!“ in den Mund.
Auch diese Aktion hatte Medienfeedback:

Auch hier investierte laut Akte die Polizei massiven Personalaufwand um Videos zu gucken. Ein Sachbearbeiter beim LKA 521 glaubte, den zweiten Verdächtigen von der Aktion zur Innenministerkonferenz zu erkennen. In der Hoffnung, hier eine klare leicht verurteilbare Aktion zu haben, stellte die Staatsanwaltschaft das gegen diese Person laufende Verfahren wegen Kunsturheber*innenrecht nach der Innenministerkonferenz ein. Sie beantragte einen Strafbefehl wegen der Adbusting-Aktion zur EM. Ein Fehler, wie sich zeigen sollte.

Der Gerichtsprozess gegen den zweiten Verdächtigen wegen der Aktion zur EM fand am 25. August 2025 statt. Begleitet von einem Soli-Aktionen, einem aufmüpfigen Publikum und regen Medieninteresse stellte das Gericht das Verfahren wegen Geringfügigkeit ohne Verteilung gegen eine Spende von 900,00 Euro ein.
Medienfeedback vom Gerichtsprozess:

Einstellung
Der Wirbel blieb nicht ohne Wirkung. Denn hinter den Kulissen tat sich was. Zwei Wochen nach dem Gerichtsprozess erreichte den wegen der Adbusting-Aktion zur Innenministerkonferenz Angeklagten auch ein Einstellungsangebot gegen 900,00 Spende. „Auf einmal war des dem Gericht und der Staatsanwaltschaft doch nicht mehr so wichtig, Adbustings zu verfolgen, die die Polizei kritisieren!“ freut sich Kai N. Krieger.
Unser Fazit
Widersprüche gegen Strafbefehle machen Sinn. Öffentlichkeitsarbeit zu Gerichtsprozessen macht auch Sinn. Gerichtsprozesse führen macht Sinn denn sie strahlen auf andere Verfahren aus
Mehr Infos:
Vetomag zu Adbustings mit der Polizei
https://veto-mag.de/adbusting/
Die erwähnte parlamentarische Anfrage
https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/19/SchrAnfr/S19-18577.pdf
Der andere Gerichtsprozess:
https://antifawerkstatt.noblogs.org/post/2025/08/25/gewonnen-prozess-wegen-polizei-adbustings-endet-mit-einstellung/